Ich spazierte vor 21 Jahren, irgendwann in September / Oktober über die Brücke zwischen AB und C Gebäude an der Uniklinik Trier und lernte einen netten, dunkelhaarigen, bärtigen Mann kennen. Er behauptete später, dass wir uns vorher schon beim Fechten begegnet haben, aber dies ist meine erste Erinnerung an ihm.
Auf diese erste Begegnung an der Unibrücke folgte erst einmal eine Freundschaft, mit zahlreichen Fechtabenden mit anschließenden Burger King Besuch und Monthy Python. Er hat versucht mich mit seinen Kochkünsten zu beeindrucken – es hat übrigens funktioniert auch wenn ich später festgestellt habe, dass Maggi Fix Flieschküchle doch nicht so kompliziert sind, wie ich es ursprünglich geglaubt habe. Es folgten Grillabende und Drachensteigen und meine erste Motorradfahrt – bei der ich ganz sicher war, dass ich es nicht überleben werde weil man ja bei der ersten kleinen Hügel hinten mit Sicherheit runterfallen wird.
Dann, am 13 Februar 2009 wurde – zwischen den Tiefkühlregalen in Real – aus der Freundschaft etwas mehr. Er wird später behaupten er hätte meine Hand genommen und ich, dass ich seine genommen habe – es spielt aber keine Rolle. Was wichtig ist, dass es passierte. Und obwohl er ganz am Anfang meinte, dass wir eh zum Scheitern verurteilt sind weil wir so gar nicht zusammen passen und er viel zu dunkelhaarig für mich wäre – blicken wir nun auf eine Beziehung von fast 20 Jahren zurück.
Es sind so viele kleine Momente der Erinnerung in diesen 20 Jahren. Unser erster gemeinsamer Urlaub in der Provence. Motorradtouren auf Sardinien. Unsere erste Wohnung in Pluwig, unser Haus in Lötzbeuren. Unsere Vieher – erst seine Vögel, dann meine Hasen, dann unsere Katzen und Hund. So viele kleine Momente des Glücks wie diese unbeschwerten Sommer in Lötzbeuren, Grillen am lauen Sommerabenden, WII Spiele, unsere gemeinsamen Projekte wie Küchenbau, Dekostand am Weihnachtsmarkt, einen endlich sicheren Zaun für unseren Hund… und so viel Lachen. Raphs Humor ist legendär – ich erinnere mich an einem Spieleabend wo man Wörter mit Haare vervollständigen musste und seine Antwort war … Haare Krishna. Und obwohl wir natürlich auch unsere schwierigen Momente hatten – wer hat das denn schon nicht – meine Erinnerungen an unsere Zeit ist gefüllt von Leichtigkeit, Humor, Geborgenheit und Liebe. Er war loval, treu und immer für mich da. Er war ruhig und gelassen und keiner konnte mich so gut beruhigen wie er. Er hat die Spinnen für mich weggejagt, mich gehalten wenn ich traurig war und mir beim allen geholfen und nie in Stich gelassen. Er hat 20-30 juristischen Text ertragen um meine Hausarbeiten auf Grammatikfehler zu korrigieren, er wäre bereit gewesen mit mir nach England zu ziehen und hat sogar meinem Vater um meine Hand gebeten. Er war mein Fels in der Brandung, meine Heimat, seine Liebe war wie eine warme Kuscheldecke. Ich wusste, egal wo ich mich in der Welt auch rumtreiben mag, er ist da, wenn ich nach Hause komme.
Wir haben es wahrlich nicht überstürzt mit der Ehe – wir haben genau nach 10 Jahren am 13. Februar 2009 geheiratet. An einem Freitag der 13. Wohlgemerkt – das passte irgendwie so gut zu uns.
An einem Abend in März 2010 – es lief Fußball im Fernseher – kündigte sich unser Benedek an. Der Test war sowas von positiv und wir saßen da, haben auf diesen zwei Streifen gestarrt und dachten – ok und was jetzt? Nach zahlreichen Ultraschalluntersuchungen, Heulattacken, schmerzenden Hüften und sehr viel Vorfreude war er dann da, am 6. Dezember 2010, unser Jaja. Die ersten Monate direkt nach seiner Geburt waren einer der schönsten unseres gemeinsamen Lebens. Wir waren beide daheim und hatten Zeit uns auf das Leben zu dritt einzustellen. Und – vielleicht anders als bei manch anderen Paaren – gingen wir uns wenn wir viel zusammen waren nie auf die Nerven. Ganz im Gegenteil, unsere schwierigsten Zeiten kamen wenn wir wenig zusammen sein konnten.
Dann, an einem schönen, sonnigen Tag in Mai 2011 änderte sich unser Leben schlagartig. Raph stand auf, mit Benedek auf dem Arm, und klappte zusammen. Nach 2 Wochen, etlichen MRTs, Krankenhausaufenthalte und einem Wach OP am offenen Gehirn wussten wir, wie der Feind heisst. Astrozytom Grad 2. Wir waren aber so zuversichtlich. Vielleicht auch zu naiv? Mag sein. Aber es ging ihm doch gut – er spazierte nach einer Woche aus dem Krankehaus raus als wäre nichts gewesen– und wir lebten unser Leben weiter. Nie hätten wir gedacht was für ein grauenhafter Potential der Feind wirklich besaß. Wir zogen um – schon wieder und – wieder im März – denn scheinbar kriegen wir Kinder nur im Frühjahr hin – kündigte sich unsere Katalin an. Sie kam am 19. November 2012 auf die Welt. Jetzt waren wir zu viert, in unserer kleinen Familie. Danach gingen die Jahre so schnell vorbei – Arbeit, Kinder, gemeinsame Ausflüge, Urlaube, neuer Job – die Zeit raste nur so. Der Feind zeigte sich nochmal kurz in 2014, aber mit Bestrahlung und Chemo war er – so kam es uns vor – schnell wieder besiegt und das Thema für uns erledigt.
Als Raph während unserer Ehevorbereitsungskurs gefragt wurde, was er unter Glück versteht, meinte er, er versteht Zufriedenheit. Er möchte mit seinem Leben zufrieden sein. Und das waren wir. Klar, wir hatten noch Pläne wie ein eigenes Haus, und ja, es war häufig stressig und sehr häufig sehr laut – wir waren nie ein leiser Haushalt – aber wir waren zufrieden. Zufrieden zusammen und mit unseren Kindern unser normales Leben leben zu können.
Und dann kam er wieder, der Feind. Als erstes Mal sichtbar war er im MRT in Dezember 2017 – ganz klein und harmlos aussehend. Nur diesmal hieß er Glioblastom und egal was man auch gegen ihm unternommen hat – er stand auf, schüttelte sich und wuchs einfach weiter.
Raphs letzten sechs Monate waren wahrlich nicht einfach. Er stieg am 21. April morgens ins Auto – normal laufend und nach außen hin völlig gesund – und stieg in Würzburg 3 Stunden später hinkend wieder aus. Drei Wochen später kam der Rollator, ein paar Wochen danach der Rollstuhl. Der Verlust der Arm und Handfunktion folgte kurzer Zeit danach.
Ich kann mir es nicht ausmalen wie schwierig das für ihm sein musste. Wie furchtbar es ist mit 47 Sachen, Sachen die für uns allen selbstverständlich sind, nicht mehr machen zu können. Er drückte es einmal so plastisch aus: wie soll er damit bitte umgehen, dass seine 5-jährige Tochter ihm bei Socken anziehen helfen muss?
Und dennoch: er meisterte alles, was ihm der Feind hinwarf mit einer bewundernswerter Optimismus, Lebenswille und Kampfeslust. Er war realistisch – er wusste ganz genau wie es um ihm stand – aber er gab nie auf. 10 Tage vor seiner Tod zeigt er mir noch, dass er weiter kämpfen wird, dass er nicht aufgibt. Auch wenn ein Sieg gegen den Feind nicht möglich war, wollte er Zeit gewinnen, so viel Zeit wie möglich, um es mit uns verbringen zu können. Und er nahm so viel mit Humor, viele Sachen bei den andere nur noch weinen würden. Als seine Handfunktion und Sensorik anfingen nachzulassen, sagte er, er wäre wie ein Roboter, Hand auf oder zu nur auf Kommando. Und lachte darüber, dass er am Frühstücktisch sein Brötchen gesucht hatte und es nicht gemerkt hat, dass er es in seiner Hand hielt. Seine Stärke war einfach nur bewundernswert.
Jetzt hat er den Kampf doch verloren. Egal wie stark er war, der Feind war am Ende doch stärker. Er musste von uns gehen. Und das schmerzt. Er fehlt, er fehlt mir, unseren Kindern, Brüder, Neffen, Nichten, Onkeln Tanten, Freunden und sehr vielen anderen Menschen deren Herz er berührt hat. Aber ich finde Trost darin, dass er diesen vielen Menschen fehlt. Bei all der Traurigkeit finde ich schön, dass ihr heute alle hier seid – denn das bedeutet, dass Raph vielen Menschen wichtig war. Wir haben versucht im letzten Jahr bewusst zu leben, vieles zu machen, vieles zu erleben und vor allem viele Freunde zu sehen. Die unglaubliche Unterstützung in den letzten Monaten und Wochen, die wir bekommen haben, die tröstenden und lieben Worte und Gesten die ich nach seinem Tod erhalten habe, vielen Dank dafür! Das bedeutet mir sehr viel.
Raph ist sichtbar nicht mehr da aber dennoch ist er irgendwie noch bei mir. Er besucht mich in meinen Träumen, ich höre ihm in unseren Lieblingsliedern, er zeigt mir den Weg wenn ich mich verfahren habe.
Reka Fuchs (Raphs Frau), Trauerrede